http://genwiki.genealogy.net/Julius_Oscar_Hager


Bereits 1876 hatte der recht unbekannte Genealoge Friedrich Theodor Richter, Görlitz, kurz vor seinem Tode den Begriff des sog. Ahnenverlustes wissenschaftlich in die Genealogie eingeführt.

Dazu sei wissenschafts-geschichtlich hier besonders auf die Würdigung durch Dr. Ottokar Lorenz in seinem berühmten "Lehrbuch der gesammten wissenschaftlichen Genealoge" von 1898, hingewiesen: dort Seite 213 (Ahnenprobe im "stiftsfähigen" Sinne!) und ausführlicher auf Kapitel "Das Problem des Ahnenverlustes" Seiten 260 - 297, sowie Kapitel "Beschreibung der Ahnentafel Kaiser Wilhelm II.", Seiten 297 - 311.

http://genwiki.genealogy.net/Lehrbuch_der_gesammten_wissenschaftlichen_Genealogie

Justus Oskar Hager geht als guter Theoretiker und ebensolcher Praktiker dann aber "gleich in die Vollen" und begründet an zwei großen Dynastenahnentafeln eine genealogische Darstellungsform - leider mit dem abschreckenden Namen "Deszentorium", wie er auch schon wenig allgemeinverständlich den lateinischen Ausdruck "Implex" geprägt hatte.

Als Motto zu seinem "Deszentorium" beruft Hager sich auf Dr. Stefan Kekule von Stradonitz, der in zwei langen Sätzen schrieb: "Bevor man irgend welche Schlüsse betreffs der physo-psychischen Erbschaft zwischen zwei Personen ziehen darf, müssen zu allererst die genealogischen Tatsachen, welche diese beiden Personen mit einander verbinden, in einen mathematischen Ausdruck gebracht werden. Bevor nicht die Vielseitigkeit des Abstammungsverhältnisses zwischen den gegebenen Subjekten bis auf die Einheit genau festgestellt ist und bevor nicht unter Berücksichtigung der Länge der einzelnen Abstammungswege die Gesamtheit der Bahnen auf welchen Erblichkeitseinflüsse sich haben vollziehen können, zu einer unverrückbaren Basis aller weiteren Spekulationen konstruiert ist, kann an die Möglichkeit der Gewinnung einer exakten Erkenntnis nicht gedacht werden."; aus: "Über die Untersuchung von Vererbungsfragen und die Degeneration der spanischen Habsburger"; in: Ausgewählte Aufsätze aus dem Gebiete des Staatsrechts und der Genealogie, Berlin (C. Heymann) 1905, 18., S. 223-252.

Dieses Motto präzisiert Hager dann später noch (1912) in einem langen Satz in seinem Sinne: "Bevor nicht die Vielseitigkeit des Abstammungsverhältnisses zwischen den gegebenen Subjekten bis auf die Einheit genau festgestellt ist und bevor nicht unter Berücksichtigung der Länge der einzelnen Abstammungswege die Gesamtheit der Bahnen, auf welchen Erblichkeitseinflüsse sich haben vollziehen können, zu einer unverrückbaren Basis aller weiteren Spekulation konstruiert ist, kann an die Möglichkeit der Gewinnung einer exakten Erkenntnis nicht gedacht werden".

Dazu hier nun Hagers beide Veröffentlichungen von 1907 und 1912:

J. O. Hager: Ein Kapitel aus der Descentorik, "Roland" (1907), S. 65-70 u.81-85

J. O. Hager: Ein Descentorium, "Herold" (1912), XL. Jg., S. 1-11 u. 2 Tafeln

Als naturgesetzlich-genealogische Eigenschaft sei hier besonders auf die zunächst merkwürdige Erscheinung hingewiesen, daß das Maximum der Anzahl der Abstammungslinien - ja immer durch den Implex verursacht - in der zeitlichen Mitte der "Ahnen-Nachkommen-Personen" liegt.

Daher wurde anstelle der allgemein unüblichen Bezeichnung Descentorium für eine doch so häufige Darstellungsform, auch schon "genealogische Raute" (= Rhombus)" von Axel Schmidt, Trohe/Hessen,vorgeschlagen. In der genealogischen Literatur vielleicht auch einfach bloß "Implex-Raute" oder "Verschwisterungs-Raute" genannt, um auf die eigentliche Implex-Ursache durch die Ahnen-Nachkommen-Geschwister hinzuweisen. Siehe dazu: Kapitel IX. Die Verschwisterungsliste (VSL) als Schlüssel; in: Arndt Richter: Die Geisteskrankheit der bayerischen Könige Ludwig II. und Otto, 1997 (Degener Verlag), Seite 60 - 64:

http://www.genetalogie.de/bilderhtm/genetalogiebuch.html

Ein Implex entsteht immer dann, wenn ein Ahn mindestens 2 Kinder (= Geschwister!) hat, die beide auch Ahnen des Probanden sind - also eine Verzweigung auftritt. Diese oder eine ähnliche Definition fand ich bei Hager nicht, - aber bis dato auch nirgendwo anders.

Hager unterscheidet wesensorientiert neu auftretende Ahnen-Implexe als "Original-Implexe", im Gegensatz zu "Konsekutiv-Implexen" (allgemeinverständlich wohl besser "Nachfolge-Implexe"!). Hager nennt 1907 als Beispiel den Original-Implex eines 6-fach-Ahnen (Philipp den Großmütigen) für den er alle 6 Ahnennummern für jede Generation nennt und diese mit der niedrigsten Ahnennummer gleichsetzt und sie als einzelne Gleichungen bezeichnet.

Da es bei hohem Gesamtimplex sehr viele Abstammungslinien darzustellen gilt, ist es grafisch oft sehr schwierig, solche geschlossene Darstellungen zu skizzieren. Man behilft sich dann mit zwei oder mehreren offenen Darstellungen. Siehe dazu z. B. Abb. 4 (geschlossen) und Abb. 8 (offen) in meinem oben genannten "bayerischen Königsbuch". Dort habe ich J. O. Hager auf den Seiten 40 - 43 mit dieser seiner Darstellungsform schon ausführlich erwähnt und die Unterschiede zwischen offenen und geschlossen Darstellungen erläutert.

Arndt Richter, München 6. Oktober 2020