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aus: COMPUTERGENEALOGIE 3 ( 1987 ) H. 7, S. 186-191

Verwandtschafts- und Implexberechnungen

 In GENEALOGIE Heft 1 und 2/1984 S. l5ff bzw. 44ff erschien ein Aufsatz von Arndt Richter über: Die Ahnenschaft von Gregor Mendel zu seinem 100. Todestag am 06.01.1984. Darin wird besonders auf den guten Erforschtheitsgrad und die vielen Verwandtenehen hingewiesen. Der Autor weist auf die Möglichkeit hin, diese Ahnenliste als Test für genealogische und nachbarwissenschaftliche Anwendungen von Computergenealogie-Programmen zu verwenden. In der modernen Genetik ist die Computeranwendung selbstverständlich geworden. Daher bringen wir ein wenig "Verwandtschaftsmathematik" von Arndt Richter.

 

Statistische Ergänzungen zur Ahnenschaft von Gregor Mendel

Von Arndt Richter

Der o.g. Aufsatz hat im Mendeljahr 1984 eine freundliche Aufnahme gefunden. Begegnungen und Korrespondenz mit Mendelverwandten erfolgten. Dadurch kam ich auch noch in den Besitz der Nachkommentafeln von Gregor Mendels Schwestern. Von beiden Schwestern existiert heute eine umfangreiche Nachkommenschaft.

Auch von institutioneller Seite fand der Aufsatz eine günstige Aufnahme, wobei dort vor allem das Ausmaß der verwandtschaftlichen Verflechtung von Gregor Mendels Ahnen überrascht hat. Daher dürfte Mendels Ahnentafel eine erhebliche statistische Bedeutung zukommen, vor allem für die Populationsgenetik und die Demographie. Aus der Korrespondenz mit den biologischen Nachbarwissenschaften habe ich allerdings den Eindruck gewonnen, daß sich bis heute noch kein brauchbares EDV-Programm zur Berechnung der biologischen (genetischen) Verwandtschaft von komplexen Verwandtenehen durchsetzen konnte. Das bei Albert Jacquard (1974) 1) erwähnte IBM-Computerprogramm zur Berechnung von Verwandtschafts- bzw. Inzuchtkoeffizienten scheint ein "Inselverfahren" geblieben zu sein. [ geschrieben August 1984! ].

Besonders erfreulich war es daher, daß mein Aufruf, die Ahnentafel Mendels als Modell für Computerprogramme für genealogische und nachbarwissenschaftliche Zwecke zu verwenden, nicht ohne Echo geblieben ist. M. Sigmund (Institut für Medizinische Statistik, Dokumentation und Datenverarbeitung der Universität Bonn) schickte mir im Juni 1984 eine DIN A3 Computergrafik von Mendels Ahnen, die in verkleinerter Form auf Seite191 zu sehen ist. Diese Grafik enthält für einen Teil von Mendels Ahnen Vor- und Familienname, Personensymbol (Quadrat oder Kreis), Abstammungslinien, Ahnennummer (leider zunächst nur eine!) sowie die Lebensdaten. Die Grafik geht dabei stammbaumartig von Mendels 10-fachem Ahnenpaar Kaspar Pietsch oo N.N. Kuntschig aus. Diese genealogische Computergrafik wurde mittels eines von M. Sigmund entwickelten Plotter-Programmes erstellt, das bereits 1983 als PEDPLO (a PEDigree PLOt Program) vorgestellt worden war 2).

Hervorgehoben sei vor allem noch, daß Kurt Ewald, München, mit dem von ihm entwickelten Mikrocomputer-Programm zur Berechnung der gb- und b-Werte von Verwandtenehen meine manuell berechneten Ergebnisse für die Verwandtenehe von Mendels Eltern exakt bestätigen konnte. Weiterhin enthält diese EDV-Berechnung einen Listenausdruck mit allen 64 Verwandtschaftswegen (als Ahnennummernfolge), die biologisch hierfür relevant sind. Als "Nebenprodukt" fielen noch die analogen Berechnungen für die Verwandtenehen von Gregor Mendels Großeltern und Urgroßeltern mit ab.

Es mag daher nun gerechtfertigt sein, meine 1983 manuell berechneten Statistikwerte zu Mendels Ahnenschaft hier erstmals zu veröffentlichen. Zu Vergleichs-, aber auch zu Kontrollzwecken sind diese Statistikwerte sicherlich für manche Genealogen, aber auch für den einen oder anderen Naturwissenschaftler von Interesse. Die Terminologie und Notation der Kennwerte folgt meist den bewährten methodischen Arbeiten von Siegfried Rösch. Auf die Technik der Berechnung kann hier nicht eingegangen werden. Der deutsche Leser muß auf die wertvollen Arbeiten von Wilhelm Ludwig (1944) 3) und Siegfried Rösch (1955, 1977) 4) hingewiesen werden.

Während Ludwig auf den Arbeiten des amerikanischen Populationsgenetikers Sewall Wright (1922) aufbaut, stützt sich Rösch bei der biologischen Verwandtschaftsberechnung vor allem auf Geppert und Koller (1938). An Röschs "Quantitativer Genealogie" (1955) sollte m.E. auch der Genetiker nicht vorbeigehen, der sich um eine präzise Begriffsbildung innerhalb des verwandtschaftswissenschaftlichen Teils der Populationsgenetik bemüht. Auch auf zwei sehr wertvolle demographisch-genealogische Arbeiten von Hermann v. Schelling (1944, 1945) 5) muß hier noch hingewiesen werden, da v. Schelling dort auf wahrscheilichkeits-statistischem Wege Ahnenimplex-Modelle in Abhängigkeit von der Bevölkerungsgröße (Heiratskreise) abgeleitet hat. In seiner Arbeit von 1945 entspricht dabei das Modellbeispiel mit dem größten Implexwert (kleinster Heiratskreis) dem Ahnenimplexwert von Gregor Mendel überraschend gut.

Von einer ebenfalls publizierten bäuerlich-bodenständigen Ahnenschaft aus dem Darmstädter Raum (Proband: Änne Ullrich, geb. 1930)6) werden hier zum Vergleich die analogen statistischen Kennwerte, die ich bereits 1982 berechnet hatte, mit angegeben. Frau Ruth Hoevel, Marburg, sei auch hier sehr für ihre Bemühungen gedankt, mir daß genealogische Material damals für meine Studien zur Verfügung gestellt und erweitert zu haben.

Ich begrüße es, die vor über 2 Jahren abgefaßten "statistischen Ergänzungen zur Ahnenschaft von Gregor Mendel" in der COMPUTERGENEALOGIE veröffentlichen zu können. Der "Aufruf", die Mendel-Ahnentafel als methodisches Testbeispiel für verschiedene Computerprogramme zu verwenden (GENEALOGIE 1/1984 S.22) sei an dieser Stelle noch einmal wiederholt. Die Leser unserer Zeitschrift werden wohl zunächst an einem Programm zur Implexberechnung am meisten interessiert sein, bzw. sich ein solches aufgrund ihrer technischen Möglichkeiten selbst erstellen wollen. Als Hilfe für diesen Zweck werden daher noch Tabelle 3 und Tabelle 4 nachgetragen. Die Ahnenstämme in Tabelle 3 entsprechen dabei der Kennzeichnung der Ahnenliste in GENEALOGIE 2/1984, S. 44-56. Das Prinzip der Implex-Berechnung dürfte aus beiden Tabellen zweifelsfrei hervorgehen. Diese Methode hat sich bei der eigenen manuellen Berechnung - auch bei komplexeren Verflechtungen! - gut bewährt. Bei verwandtschaftlichen Zweifelsfällen wird es manchmal nützlich sein, sich die Verflechtungen aufzuzeichnen bzw. anhand der Grafik in GENEALOGIE 1/1984 S.16-17 vor Augen zu führen. Besonders gilt dies für die sogenannten "Kettenehen" mit den Ahnenhalbgeschwistern. In einer der nächsten Nummer dieser Zeitschrift möchte ich versuchen, noch einige prinzipielle und zeichnerische Hinweise für Möglichkeiten zur grafischen Darstellung der Ahnenverflechtungen zu geben (Plotterprogramme).

 Literatur:

  1. Albert Jacquard: The Genetic Structure of Populations. Berlin-Heidelb.-New York (Springer) 1974,S.113
  2. Martin Sigmund: PEDPLO: A pedigree plot program. In: Computer Programs in Biomedicine 17 (1983), 283 - 286 (siehe auch Abbildung)
  3. Wilhelm Ludwig: Über Inzucht und Verwandtschaft. In: Zeitschrift für menschliche Vererbungs- und Konstitutionslehre 28 (1944) H.1, 278-3l2 Berlin (Springer)
  4. Siegfried Rösch: Grundzüge einer quantitativen Genealogie. Heft 31 des Praktikum für Familienforscher. Neustadt/Aisch (Degener) 1955, s.a. in: Siegfried Rösch: Goethes Verwandtschaft, Versuch einer Gesamtverwandtschaftstafel mit Gedanken zu deren Theorie. Neustadt/Aisch (Degener) 1956. Siegfried Rösch: Caroli Magni Progenies. Neustadt/Aisch (Degener) 1977
  5. Hermann v. Schelling: Studien über die durchschnittliche Verflechtung innerhalb einer Bevölkerung. Jena (Fischer) 1945. Hermann v. Schelling: Die Ahnenschwundregel.In: Der Erbarzt 12 (1944) H. 9/12. S. 113-120
  6. Ruth Hoevel: Eine Ahnentafel in starker verwandtschaftlicher Verflechtung aus dem Darmstädter Raum. Beitrag zu den Themen Genealogie und Statistik, Genealogie und Demographie. Selbstverlag 1983. (Steinweg 15, 3550 Marburg). Rezension in: GENEALOGIE 3/1984 S. 94
  7. über autosomale und x-chromosomale Verwandtschaft siehe:
    Hermann Athen: Theoretische Genealogie. In: Genealogica & Heraldica. Report of the l4th International Congress for Genealogical and Heraldic Sciences in Copenhagen 25.-29.8.1980 S. 421-432. Kopenhagen 1982
    Arndt Richter: Erbmäßig bevorzugte Vorfahrenlinien bei zweigeschlechtigen Lebewesen. In: Archiv für Sippenforschung 74/1979 S. 96-109. Rezension von Hermann Athen in: Quellen und Forschungen zur ostfriesischen Familienkunde 28 H.9-10 (1979) S. 140. Referate: Felix v. Schroeder in: Der Herold 23 H. 9 (1980) S. 97-98, G. Karigl in: Theoretical and Applied Genetics Vol.60 No.2 (l981) S. 97-98

 

Erklärung der in den nachfolgenden Tabellen verwendeten Symbole

k = Nummer einer Generation; die des Probanden selbst wird als k = 0 angenommen; die Generationen der Vorfahren werden negativ gezählt, die der Nachkommen positiv
     
atk = theoretische Anzahl der Ahnen in der k-ten Generation = 2-k (hier ist berücksichtigt, daß k in der Ahnentafel negativ ist)
     
apk = physische Anzahl der Ahnen in der Generation k bei Ahnenimplex, dabei wird jede Person, die in der Ahnentafel mehrfach vorkommt, nur einmal gezählt, und zwar jeweils bei ihrer niedrigsten Ahnennummer
     
ik = Ahnenimplex ("Ahnenverlust") in der k-ten Generation der Ahnentafel
= (atk - apk)/atk
     
a'tk = unvollständig bekannte theoretische Anzahl der Ahnen in der k-ten Generation infolge Lückenhaftigkeit der Forschung (bei Vollzählung aller Ahnen, deren Identität irgendwie ermittelt ist)
     
a'pk = desgl. für unvollständig bekannte physische Anzahl der Ahnen in der k-ten Generation (bei Vollzählung aller Ahnen, deren Identität irgendwie ermittelt ist)
     
rtk = Anteil der bekannten theoretischen Ahnen = a'tk/atk
     
z = Anzahl der Verwandtschaftswege zwischen zwei Individuen
     
b = mittlerer biologischer Verwandtschaftsanteil zweier Individuen = 2-gb
     
gb = biologischer Verwandtschaftgrad zweier Individuen = - 2log b = - 3,3219 log b; die einzelnen Verwandtschaftsgrade wurden nach Rösch "symbolisch-komprimiert" dargestellt. Dabei bedeuten die Zahlen keine Potenzen im arithmetischen Sinne, sondern geben die Häufigkeit des Verwandtschaftsgrades (der Grundzahl) wieder: 1715 bedeutet 15-mal im 17. Grad verwandt, zahlenmäßig = 15*2-17
     
g'b = biologischer Verwandtschaftsgrad bei mehrfacher Verwandtschaft (summarischer biologischer Verwandtschaftsgrad) = -2logS b
     
g''b = kleinster ganzzahliger biologischer Verwandtschaftsgrad (reine Rechengröße)
     
g"'b = reduzierter biologischer Verwandtschaftsgrad (reine Rechengröße)
     
gbs = Schwerpunktwert des biologischen Verwandtschaftsgrades (arithmetisches Mittel der Einzelwert)
     
f = Inzuchtkoeffizient = b/2

 

 

Tabelle 1:

Statistikwerte aus der Ahnentafelanalyse von

    Gregor Mendel (1822-1884) Änne Ullrich (*1930)
    Ahnenimplex Erforschtheitsgrad Ahnenimplex Erforschtheitsgrad
k atk apk ik a’tk a’pk rtk apk ik a’tk a’pk rtk
-1 2 2 0,00 2 2 1 2 0.00 2 2 1
-2 4 4 0,00 4 4 1 4 0.00 4 4 1
-3 8 8 0,00 8 8 1 8 0.00 8 8 1
-4 16 16 0,00 16 16 1 16 0.00 16 16 1
-5 32 30 0,06 32 30 1 32 0.00 32 32 1
-6 64 51 0,20 60 49 0,94 61 0.05 63 60 0,98
-7 128 94 0,27 97 69 0,76 111 0.13 102 85 0,80
-8 256 172 0,33 93 45 0,36 209 0.18 134 90 0,52
-9 512 342 0,33 58 21 0,11 395 0.23 143 <78 0,28
-10 1024 (684) (0,33) 27 8 0,03 (790) (0.23) 151 <69 0,15
-11 2048 - - 5 3 0,00 - - 98 <71 0,05
-12 4096 - - 1 - 0,00 - - 58 <48 0,01
  8190     403 255 7,20     811 <563 7,79

 

Tabelle 2:

Statistikwerte zur biologischen (genetischen) Verwandtschaft

 

Gregor Mendel

Änne Ullrich
1. autosomale Verwandtschaft zwischen den Eltern der Probanden (auf die Normalchromosomen bezogen)

z =

64

268

b =

0,01947

0,00481

gb =

82 91 105 126 1313 1421 1516

112 126 148 1513 1648 1745
   

1874 19 56 20 6 214 224 232

g’b =

5,68

7,70

g’’b =

6; 9; 10; 11; 12; 13; 14;

8; 11; 12; 13; 15; 18; 19; 20; 22

g’’’b =

5 ( 1; 4; 5; 6; 7; 8; 9 )

7 ( 1; 4; 5; 6; 8; 11; 12; 13; 15 )

gbs =

13,28

17,42

gbs - g’b =

7,60

9,72
2. x-chromosomale Verwandtschaft zwischen den Eltern der Probanden (auf die X-Chromosomen bezogen)

zx =

1

1

bx =

0,01562

0,00012

gbx =

6

13
3. Inzuchtkoeffizienten der Probanden (autosomal und x-chromosomal)

f =

0,0093

0,00240

fx =

-

0,00006
(nur bei Frauen!) für Mendels Schwestern: 0,00781  

Zur Liste der
64 Verwandtschaftswege zwischen Gregor Mendels Eltern

 

Tabelle 3

Geschwistergruppen mit den "ausgefallenen Ahnennummern" in der Ahnentafel von Gregor Mendel

Geschwistergruppen

"ausgefallene Ahnennummern"
Ahnenstämme

Ahnen-Nr.

(Geschwistereltern)
a.) Vollgeschwister    
Weiß Ia / Ib

18, 43

86 / 87
Blaschke Ib / Id

22, 29

58 / 59
Blaschke Ic / Ie

34, 61

122 / 123
Münster Ib / Ia

46, 60

120 / 121
Blaschke Ic / If

68, 103

206 / 207
Ertel Ib / Ia

70, 76

152 / 153
Brosch Ia / Ib [ siehe auch c.)]

78, 186

372 / 373
Blaschke Ia / Ic / Ig

80, 136, 213

272 /273 ; 426 / 427
Schreiber Ib / Ia

81, 154

308 / 309
Schwirtlich Ia / Ib

96, 248

496 /497
Kasper Ib / Ia [ siehe auch b.) und c.)]

106, 112

224 /225
Pietsch Ia / Ib /ic

143, 161, 251

322 / 323; 502 / 503
Schlosser Ib / Ia

197, 230

460 / 461
Kahlig Ib / Ia

210, 328

656 / 657
     
b.) Halbgeschwister mit gemeinsamem Vater    
Blaschke Ia / Ib

20, 44

88
Kuntschig Ia / Ib

25, 63

126
Ertel Ia / Ic

38, 51

102
Kasper Ic / Ib / Ia [ siehe auch a.)]

75 , ( 106, 112 )

212
     
c.) Halbgeschwister mit gemeinsamer Mutter    
Kaspar Ic / Brosch Ia / Ib [ siehe auch a.)]

75, (78, 186 )

157

 

Tabelle 4

Berechnungstabelle für den Ahnenimplex ik in der Ahnentafel von Gregor Mendel

 

Für die vollständige Darstellung der verwandtschaftlichen Verflechtung der Ahnen von Gregor Mendel (Ahnentafelausschnitt) siehe hier; für den daraus berechneten Verwandtschaftskoeffizienten f von Gregor Mendel siehe hier.

 

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